Psychiatrisches Heilungswissen (1840 – 1914) (Arbeitstitel)

PROJEKTVERANTWORTLICHER

  • Ralph Höger (Heidelberg School of Education, Doktorand bis 05/2019)

PROJEKTBESCHREIBUNG

Die Arbeit fokussiert die Herausbildung des psychiatrischen Heilungswissens vor dem Hintergrund der Entwicklung des Anstaltswesens nach der Gründerzeit bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ausgehend von der Leitthese, dass das Heilungsgeschehen in diesem Zeitraum eine zunehmende Marginalisierung erfuhr, wird gefragt, wie sich das Wissen über Heilungen, Heilbarkeiten und Heilungsverläufe entwickelte. Analysiert wird die Herausbildung dieses Wissens in dem spannungsreichen Feld zwischen administrativ-staatlichen Vorgaben sowie Verwissenschaftlichungs- und Professionalisierungsbestrebungen der Ärzteschaft.

Für die Analyse wird ein diskurstheoretischer Rahmen gewählt, der sich an Foucaults Auffassung von Diskursen als Ordnungssystemen, Laclaus Konzept von hegemonialen Strukturen und ‚Leeren Signifikanten‘ sowie Barads Apparatebegriff orientiert. Darüber hinaus werden in der Feinanalyse von Krankenakten Erzählstrukturen und narratologische Konzepte als Teil der emergenten Wissensformationen untersucht. Als Quellenmaterial dienen vorwiegend Bestände aus der psychiatrischen Landschaft Württembergs: Statistiken und Karteikarten, Krankenakten aus vier unterschiedlichen Anstaltstypen und psychiatrische Fachliteratur (Zeitschriftenartikel und auflagenstarke Lehrbücher aus dem gesamten deutschen Sprachraum sowie Publikationen württembergischer Psychiater). Fokussiert werden die Zeitschnitte 1840, 1875 und 1910.

Beschrieben wird die psychiatrische Wissensproduktion in Bezugnahme auf sozialgeschichtliche Kontexte, material-diskursive Bedingtheiten und hegemonialisierende Aushandlungspraktiken. Die Frage nach der Verortung und den Entstehungsbedingungen von Wissen ist nicht nur ein Anliegen historischer Forschung, sondern erscheint auch als zentral für die Lehrer*innenbildung. In Zeiten der Digitalisierung und den damit einhergehenden Neuverhandlungen von ehemals als fest und beständig wahrgenommenen Wissensbeständen lohnt sich der Blick auf historische Wissensformationsprozesse und die (dis-)kontinuierlichen Wandlungen von Wissenssystemen. Das Beispiel ‚Psychiatrie im 19. Jahrhundert‘ eröffnet dabei neue Perspektiven auf die Produktion und Autorisierung von Wissen im Schnittbereich von Sozialstaat, akademischer Naturwissenschaft und gesellschaftlichen Wertvorstellungen. Die Arbeit trägt damit zur kritischen Reflexion der Kategorie ‚Wissen‘ in der Lehrer*innenbildung bei.