Bewegter Unterricht – reloaded! Eine empirische Untersuchung zu Effekten unterrichtsbegleitender und unterrichtsnaher Maßnahmen zur Sitzzeitreduzierung in der Grundschule

PROJEKTVERANTWORTLICHER

  • Robert Zimmermann (Heidelberg School of Education, Doktorand bis 12/2018)

HINTERGRUND / ZIELSTELLUNG

In der nationalen wie internationalen Forschung zum sitzenden Lebensstil werden aktuell gesundheitsbedeutsame Folgen des Sitzens für Kinder und Jugendliche untersucht und diskutiert (Keane et al. 2017). In diesem Zusammenhang wird nicht nur die Nutzung von (digitalen) Bildschirmmedien beforscht, auch dem schulischen Sitzen wird zunehmend Bedeutung beigemessen (Bucksch und Dreger 2014). Im Setting Schule geht es um die möglichst objektive Erfassung individueller wie kollektiver Sitzzeiten mit Hilfe von Beschleunigungssensoren und um die Erfassung potenzieller Effekte zu Sitzunterbrechungen im Unterricht durch den Einsatz mobiler Sitzmöbel oder Sitz-Steh-Tische.

Trotz einer beachtlichen Menge themenrelevanter internationaler Studien fällt auf, dass in Deutschland objektive Sitzzeitmessungen mittels Beschleunigungssensoren im schulischen Kontext fehlen (Sprengeler et al. 2017). Zudem findet die Kombination aus akzelerometerbasierter Sitzzeitmessung und Sitzzeitprotokoll (der derzeitige „Goldstandard“) nur selten Beachtung (Bucksch und Schlicht 2014).

Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die Studie „Bewegter Unterricht – reloaded“ mit der Messung schulbezogener Sitzzeiten und der Evaluation bewegungsaktivierender Methoden im Unterricht an Grundschulen. Ich möchte aufzeigen, inwieweit lernzeiterhaltende Maßnahmen, mobile Sitzmöbel und bewegungsaktivierende Methoden, die Norm des Sitzens aufbrechen können.

Der Interventionsansatz A umfasst die Integration fünf dynamischer Sitzhocker (Hokki®), die im Laufe des Schultages von allen Kindern der Klasse genutzt werden. Die Rotation der Sitzmöbel ermöglicht eine regelmäßige Sitzunterbrechung (mind. alle 20 Minuten). Zudem unterstützt das Sitzgerät eine aktive und bandscheibenschonende Körperhaltung.

Der Interventionsansatz B umfasst die Nutzung bewegungsaktivierender Methoden zur lernzeiterhaltenden Sitzunterbrechung, die den Interventionslehrkräften in Form einer Handreichung zur Verfügung gestellt werden.

METHODE

Die Interventionsstudie findet in einem Pre-Post-Test Design mit Kontrollgruppe im Raum Heidelberg an drei Grundschulen statt. Die etwa 120 Schüler*innen tragen zu fünf Messzeiträumen einen activPAL Beschleunigungssensor, der sekundengenau Sitz-, Steh- und Bewegungszeiten während der Unterrichtszeit erfasst und höchsten Standards der Aktivitätsforschung entspricht (Bucksch et al. 2015). Zusätzlich werden Beobachtungsprotokolle geführt, in denen unterrichtliche Abläufe beschrieben werden.

Die Studie beginnt mit der Baseline-Erhebung zum Bewegungsstatus im Unterricht. Anschließend startet die erste Intervention zur Integration dynamischer Sitzgelegenheiten, die im Post-Test und Follow-up evaluiert werden. Weiterführend werden in den Untersuchungsklassen die bewegungsaktivierenden Methoden eingeführt und nach dem gleichen Muster erfasst. Zwischen den jeweiligen Erhebungszeitpunkten dienen vier Wochen zur Erprobung bzw. Nutzung der Methoden und Maßnahmen, um Neuheitseffekte auszuschließen.

Abbildung HSE Forschungsprojekt Zimmermann

ERGEBNISSE

Die sitzzeitbezogenen Daten internationaler Studien können mit der vorliegenden Untersuchung bestätigt werden (Arundell et al. 2016). Allerdings unterschreiten die bisher ausgewerteten Sitzzeiten die Vergleichsdaten nationaler Erhebungen deutlich (Huber und Köppel 2017).

Weitere Ergebnisse der noch laufenden Untersuchung zeigen, dass ritualisierte bewegungsaktivierende Maßnahmen im Unterricht zu einer Verringerung der sitzenden Tätigkeiten beitragen. Auffällig ist, dass die Kinder während der Nutzung der Hokkis eine vergleichsweise dynamische Sitzhaltung einnehmen, es ihnen jedoch schwerfällt, die mobilen Sitzgelegenheiten regelmäßig (nach spätestens 20 Minuten) zu tauschen.

SCHLUSSFOLGERUNG

Beide Interventionsansätze scheinen sich für Sitzunterbrechungen im Unterricht der Grundschule zu eignen und stellen Möglichkeiten dar, die gesundheitlich negativ belasteten Sitzzeiten während der Schulzeit zu reduzieren.

Darüber hinaus scheint die Nutzung der bewegungsaktivierenden Methoden eine Verknüpfung von Lernprozessen und Bewegung zu ermöglichen, ohne dass dadurch der Lernfluss durch Zeitverluste oder Lärm (gemessen mithilfe von: Lärmpegelmessgerät „Sound Level Meter PCE-322A) gestört wird.

LITERATURVERZEICHNIS

  • Arundell, Lauren; Fletcher, Elly; Salmon, Jo; Veitch, Jenny; Hinkley, Trina (2016): A systematic review of the prevalence of sedentary behavior during the after-school period among children aged 5-18 years. In: The international journal of behavioral nutrition and physical activity 13, S. 93. DOI: 10.1186/s12966-016-0419-1.
  • Bucksch, J.; Dreger, S. (2014): Sitzendes Verhalten als Risikofaktor im Kindes- und Jugendalter. In: Präv Gesundheitsf 9 (1), S. 39–46. DOI: 10.1007/s11553-013-0413-2.
  • Bucksch, J.; Schlicht, W. (2014): Sitzende Lebensweise als ein gesundheitlich riskantes Verhalten. In: DZSM 2014 (01). DOI: 10.5960/dzsm.2012.077.
  • Bucksch, J.; Wallmann-Sperlich, B.; Kolip, P. (2015): Führt Bewegungsförderung zu einer Reduzierung von sitzendem Verhalten? In: Präv Gesundheitsf 10 (4), S. 275–280. DOI: 10.1007/s11553-015-0514-1.
  • Huber, G.; Köppel, M. (2017): Analyse der Sitzzeiten von Kindern und Jugendlichen zwischen 4 und 20 Jahren. In: Dtsch Z Sportmed 2017 (04), S. 101–106. DOI: 10.5960/dzsm.2017.278.
  • Keane, Eimear; Li, Xia; Harrington, Janas M.; Fitzgerald, Anthony P.; Perry, Ivan J.; Kearney, Patricia M. (2017): Physical Activity, Sedentary Behavior and the Risk of Overweight and Obesity in School-Aged Children. In: Pediatric exercise science 29 (3), S. 408–418. DOI: 10.1123/pes.2016-0234.
  • Sprengeler, Ole; Wirsik, Norman; Hebestreit, Antje; Herrmann, Diana; Ahrens, Wolfgang (2017): Domain-Specific Self-Reported and Objectively Measured Physical Activity in Children. In: International journal of environmental research and public health 14 (3). DOI: 10.3390/ijerph14030242.