Ich kann! Demokratische Bildung in der Grundschule durch die Verbindung von zivilgesellschaftlichem Engagement und politischem Lernen

Ein Projekt zur Stärkung der Demokratie in Kooperation von Ganztagsschule, kommunalen sozialen Einrichtungen und außerschulischen Bildungsträgern

THERESA RÜTERMANN

Theresa Rütermann
Bild: © privat
  • Grundschul- und Hauptschullehrerin für Deutsch, Politik und Geschichte
  • Vollzeitabordnung (100%)  im Projekt PLACE vom 01.09.2019–31.08.2020

PROJEKTBESCHREIBUNG

Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und der Zunahme antidemokratischer Haltungen ist ein Mehr an politischer Bildung, unabhängig vom Alter, von zentraler Bedeutung. Im Grundschulbereich ist der Mangel an demokratiefördernder politischer Bildungspraxis und forschungsbasierten Konzepten und Studien zur politischen Bildung besonders eklatant. Deshalb gilt es niederschwellige Zugänge zu schaffen, die die Erfahrung der Relevanz des eigenen Handelns ermöglichen, da in jenen Erfahrungsräumen der elementare Zugang zu einer politischen Bildung zu sehen ist (vgl. 15. Kinder- und Jugendbericht 2017, S. 72). Insbesondere soziales Engagement als Form der gesellschaftlichen Teilhabe und Verantwortungsübernahme im Grundschulalter bietet hier ein bislang ungenutztes Lernpotenzial, welches ich im Rahmen meines Projekts darlegen und beforschen möchte.

Das Projekt vereint dabei unterschiedliche Perspektiven:

Abbildung PLACE-Projekt Rütermann
Abb. 1: Elemente und Perspektiven des Projekts zwischen schulischem und außerschulischem Lernen

Das Herzstück des Projektes bilden Kooperationen mit kommunalen Einrichtungen: In Pflegeeinrichtungen und Kindergärten, die sich im unmittelbaren Umfeld der Schulen befinden, lesen Schüler/innen in Kleingruppen einen zuvor im Deutschunterricht eingeübten Text vor. Dieses „Leseengagement“ wird auf vielfältige Weise fachwissenschaftlich und fachdidaktisch fundiert vor- und nachbereitet. An jenen Schnittstellen zwischen schulischem und außerschulischem Lernen können so sinn- und bedeutungsvolle Erfahrungsräume geschaffen werden, die von persönlicher, aber auch von hoher gesellschaftlicher Relevanz sind. Eine politische Ebene ist dem Vorhaben insofern inhärent, als es zivilgesellschaftliches Engagement immer kritisch zu hinterfragen gilt und Demokratie nicht nur eine Form des Zusammenlebens ist, sondern auch Herrschaftsstrukturen in ihr verankert sind (vgl. u. a. Himmelmann 2010, S. 26). Die politische Reflexion, die im Fachunterricht und im zweitägigen Seminar in Kooperation mit einem außerschulischen politischen Bildungsträger stattfindet, will somit über die Ebene der sozialen Selbstwirksamkeitserfahrung hinausgehen und leistet dadurch einen wichtigen Beitrag zur Erziehung zur Mündigkeit (vgl. Wohnig 2016).

Als Ergebnis des Projekts wird zum einen eine Handreichung zum Lernen durch Engagement („Ich kann! Demokratische Bildung in der Grundschule“) für Grundschullehrkräfte und Studierende des Lehramts Grundschule erstellt, in der konkrete Anregungen für einen erfahrungs- und handlungsorientierten Unterricht enthalten sind. Zum anderen entsteht – mit redaktioneller Unterstützung durch die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB) – ein ansprechendes Lerntagebuch für Grundschulkinder, in dem sie ihren Lernprozess im Rahmen eines Service-Learning-Projekts kreativ dokumentieren können. Das Lerntagebuch soll, so die aktuelle Planung, publiziert werden und dann kostenfrei über die LpB erhältlich sein. Durch diese Unterstützung ist es möglich viele Schulen und Interessierte zu erreichen.

VIER THESEN ZUM PROJEKT

Das Projekt lebt in besonderem Maße von der Verschränkung mehrerer Perspektiven. Um dies sichtbar zu machen, habe ich vier Thesen aufgestellt, die auf unterschiedliche Bezugspunkte verweisen. Das übergeordnete Ziel, die Stärkung der Demokratie, soll anhand der Thesen klar hervortreten.

Erstens muss die politische und gesellschaftliche Bedeutung von Schule und Unterricht unabhängig von den gewählten Studienfächern stärker Eingang in die Lehrerbildung finden.

Zweitens muss demokratische Bildung für alle Bildungsinstitutionen so früh wie möglich und unabhängig vom Alter der Kinder ein Thema sein, sodass die Bedeutsamkeit der Grundschul-jahre für die Demokratiebildung offenbarer wird.

Drittens ist besonders die „Stärkung der Schülerinnen und Schüler in ihrer Persönlichkeit und Identitätsentwicklung“ (KMK 2018, S. 10) für die demokratische Bildung hervorzuheben. Diese braucht entsprechende Erfahrungsräume, die es zu modellieren gilt.

Viertens stellen Ganztagsschulen das deutsche Schulsystem vor neue Herausforderungen. Ihre Sinnhaftigkeit und Berechtigung muss sich auch in einer veränderten Lernkultur zeigen. Konkrete Konzepte, die zur Öffnung der Schule nach außen und somit zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts führen, sind deshalb notwendig. Diese müssen sich mit dem Fachunterricht verbinden lassen, um nachhaltig zu sein.

AUFBAU UND REALISIERUNG DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG

Zwei übergeordneten Forschungsfragen gehe ich im Rahmen des Projekts nach:

  1. Lassen sich durch die Reflexion von zivilgesellschaftlichem Engagement politische Lernprozesse bereits in der Grundschule anbahnen? Wenn ja, welche?
  2. Welche konzeptionellen Hinweise und Gelingensbedingungen können zur demokratischen Bildung in der Grundschule abgeleitet werden, insbesondere für Kooperationen mit außerschulischen Partnern?

In einer Vorbereitungsphase stehen dabei die theoriegeleitete und forschungsbasierte Modellierung des Projekts vor dem Hintergrund realer organisatorischer Rahmenbedingungen sowie die Erstellung des benötigen Unterrichtsmaterials im Zentrum. Zudem werden erste leitfadengestützte Interviews mit den Projektbeteiligten aus Schule, kommunalen sozialen Einrichtungen und außerschulischen Bildungsträgern zur Erhebung des Ist-Standes geführt. Die Sicht der Grundschüler/innen ist während des gesamten Projektverlaufs von zentraler Bedeutung und wird deshalb in Gruppen- und Einzelinterviews erhoben.

Während der Engagementphase sehe ich meine Aufgabe in der Sicherstellung der Übertragungsqualität der Intervention durch die enge Zusammenarbeit mit den Schulen und Einrichtungen. Durch Prozessbeobachtungen sowie leitfadengestützte Einzel- und Gruppeninterviews werden qualitative Daten erhoben – so auch in der sich anschließenden Reflexionsphase, die primär im zweitägigen außerschulischen Bildungsseminar in Kooperation mit dem Haus am Maiberg verortet ist. Im Rahmen der Interviews soll am Ende der Reflexionsphase insbesondere die Einstellung aller Beteiligten gegenüber dem Projekt und die Motivation berücksichtigt werden.

Eine Ergebnissicherung erfolgt durch die Auswertung der Interviews mit dem hier zielführenden sequenzanalytischen Verfahren der dokumentarischen Methode.

LITERATUR

  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2017): 15. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Berlin. https://www.bmfsfj.de/blob/jump/113816/15--kinder-und-jugendbericht-data.pdf [18.10.2019]
  • Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 06.03.2009 i. d. F. vom 11.10.2018:  Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule. Online auf: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2009/2009_03_06-Staerkung_Demokratieerziehung.pdf [18.10.2019]
  • Himmelmann, Gerhard (2010): Brückenschlag zwischen Demokratiepädagogik, Demokratie-Lernen und Politischer Bildung. In: Himmelmann, Gerhard/Lange, Dirk (Hrsg.): Demokratiedidaktik. Impulse für die Politische Bildung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 19–30.
  • Wohnig, Alexander (2016): Zum Verhältnis von sozialem und politischen Lernen. Eine Analyse von Praxisbeispielen politischer Bildung. Wiesbaden: Springer Verlag.